... Als Sonderführer (K) in Warschau - LABOR
Dietmar Martin Apel / ... Als Sonderführer (K) in Warschau (2)
L A B O R
Roman
Taschenbuch
Verlag: Bucheinband.de 2015
Format: 13,5 x 21cm
430 Seiten
Titelbild auf dem Schutzumschlag: Originale Ansichtskarte (Feldpost) des Hotel Bristols in Warschau
Zahlreiche Fotos von Originalen am Ende des Buches
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Drei Insektenkundler werden als Sonderführer (K) nach Warschau einberufen. Sie werden der neu gegründeten Forschungsgruppe (C) zugeteilt.
Jeder der drei Doktoren bekommt einen bewährten Soldaten als Fahrer, Ausbilder und Leibwächter zur Seite gestellt. Absolute Geheimhaltung und scheinbar unbegrenzte Bewegungsfreiheit können aber nicht vergessen machen, dass die Worte ‚Widerspruch wäre sinnlos‘ wie ein Damoklesschwert über ihnen hängen.
Spät, sehr spät erfahren dann alle, dass ihre Forschungen dazu dienen sollen, die B-Waffen-Forschung durch die Deutsche Wehrmacht und Führung des Reichssicherheitshauptamtes zu ermöglichen und in Gang zu bringen.
Die Sonderführer und ihre Beschützer ahnen nicht, dass der polnische Widerstand sich seit geraumer Zeit für sie und ihre Arbeit interessiert. Sie leben und arbeiten in ihrem Mikrokosmos scheinbar unangefochten von der Welt um ihr Labor herum.
Fast scheint man am Ziel, da bricht 1944 in Warschau der national-polnische Aufstand aus. Die Ereignisse entwickeln sich in rasender Eile und lassen keinen der Beteiligten unberührt.
Teil 2) Das Einrichten des Labors geht mit einer beeindruckenden Geschwindigkeit voran. Ein funktionierender Laborbetrieb baut sich auf. Aus dem anfänglich fast vergnüglichen Beginn wird bitterer Ernst, an dessen Ende der Tod steht.
Es wird geforscht, es wird getestet. Erste Ergebnisse werden gewonnen. Die Forschungsgruppe ›C‹, der das Labor angehört, erreicht einen Spitzenplatz im Rahmen des RSHA. Aber alles muss streng geheim bleiben. Und dennoch – der polnische Widerstand interessiert sich für dieses Labor. Über Allem liegt der tödliche Schatten der Geheimhaltung.
Völlig überraschend bekommen die Forscher Einblick in eine grauenhafte Welt: Sie dehnen auf Befehl ihre Forschungen auf das Warschauer Ghetto aus.
Im Ghetto wird der jüdische Aufstand vorbereitet. Fischer verrennt sich in eine hoffnungslose Liebe zu den Beschitzer-Mädchen und erwägt, ins Ghetto zu gehen, als der Aufstand
dann tatsächlich ausbricht.
Heute hatte Jadwiga ihren ersten Arbeitstag. Am Abend würde sie zum ersten Mal im Offizierscasino des Hotels ’Bristol‘ in Erscheinung treten. Ein langer, prüfender Blick in den Personalspiegel sagte ihr, dass alles an ihr stimmte und keiner Korrektur bedurfte - äußerlich. Sie fand sich recht vorzeigbar. Ein anderer hätte gesagt, sie sähe hinreißend aus. Eleganz, Liebreiz, natürliche Sinnlichkeit - eine Polin! Die anderen Kellnerinnen waren gar nicht böse, dass sie einen Neuling an die ’Front‘ schicken konnten. Alle gierigen Blicke und die in der Mehrzahl dreckigen Bemerkungen würden ein neues Ziel haben. Das aber würde die Neue schon rechtzeitig mitbekommen. Und auch rechtzeitig genug davon haben! Das war nur eine Frage der Zeit. Sie betrat ihre neue Wirkungsstätte mit dem natürlichsten Lächeln der Welt. Ihre Kolleginnen hatten ihr einen ’eigenen‘ Bedienbezirk mit mehreren Tischen zugewiesen.
Erstaunlicherweise erkannte sie sofort zwei Gesichter wieder, die ihr Berkut auf ein paar verwackelten Fotos gezeigt hatte. Man wollte wissen, wer sie waren und was sie hier in Warschau zu tun hatten. Schon die immer gleichen oder ähnlichen Gesprächs- und Tischrunden konnten auf irgendwelche Verbindungen schließen lassen. Alles das konnte Bedeutung haben, sollte sie herausfinden. Deswegen war sie hier. Irgendwelche ’Exoten‘ wie Luftwaffen- oder Marineoffiziere, Parteibonzen oder Heeresbeamte interessierten sie weniger. Natürlich waren neue, das heißt bis dahin nie gesehene Uniformen immer interessant. Zum Beispiel die der Statthalter der Gebiets- und Reichskommissare. Das war eine eigene Wissenschaft. Die Leute, die hier in Warschau so blutig wirksam waren - um die musste sie sich bevorzugt kümmern. Das hatte ihr Berkut dringend ans Herz gelegt.
Jetzt ging sie zu ihrem Bedienbezirk, um sich den dort sitzenden Uniformierten vorzustellen. Es würde nicht leicht sein, eine Übersicht über die Gäste und ihre dienstlichen Obliegenheiten zu bekommen. Und gerade heute war es wirklich ’bunt‘. Wie gemacht, um sie zu verwirren! Im gesamten Saal saßen locker verstreut und in Gruppen unter anderem Offiziere der Heeresforstverwaltung, Offiziere von einer Eisenbahntruppe und zwei schon angetrunkene Hauptleute vom Heer, die ihrer Dienststellung nach ’Gräberoffiziere‘ waren. Das war jedenfalls ihren Reden zu entnehmen, die sie schon am Vorabend mit zwei älteren Heeresgeistlichen geführt hatten - mit einem Protestanten und einem Katholiken. Die auch wieder unterschiedlich uniformiert waren und im Offiziersrang standen. Aber die gehörten nicht zu Jadwigas Bedienbereich. Nur hatten die Kolleginnen in Gegenwart Jadwigas darüber gesprochen. ...
Bereits nach ein paar Schritten in das Ghetto hinein wehte ihnen ein Geruch entgegen, wie ihn nur äußerste Verelendung, Not, Krankheiten und Tod zusammen hervorbringen. Sie betraten eine andere Welt, sie schlichen in diese andere tödliche Welt. Bereits nach ein paar Metern sahen sie die ersten kraftlosen Gestalten am Boden liegen - Skeletten ähnlicher als Menschen. Ja, der Oberführer hatte zu Recht angekündigt, dass es hier Proben ’frisch vom Fass‘ in ausreichender Form und Menge geben würde. Becker hielt sich betont aufrecht und gab sich unbeteiligt. Er sah sich um, wo das avisierte ’Empfangskommittee‘ war. Mühle wäre am liebsten gleich wieder umgekehrt. Das, was er bereits am Anfang zu sehen bekam, war für ihn so unfassbar, dass er es nicht in Worte hätte fassen können. Das war Dantes Hölle! Wer hier sein musste, der konnte wirklich alle Hoffnung fahren lassen! Mühle konnte kaum denken. Auch der Gedanke, wie man Hilfe leisten könnte, hatte bei ihm keinen Platz. Hingehen, Auftrag abarbeiten, verschwinden. Aber schnellstens!
Und Fischer? Auch er sah alles. Aber besonders die Kinder. Kinder, die eigentlich spielen sollten, die in die Schule gehen sollten. Die Kinder waren aber hierher gebracht worden, damit sie starben. Die Kinder, die er sah, waren am Verhungern. Selbst wenn man sie jetzt mit Essen vollstopfen könnte - sie würden sterben. So sehr waren sie des Essens entwöhnt. Fischer, der Lehrer, der immer Suchende, kam bei diesen Eindrücken der Frage, was das wirkliche Ziel der ’Forschungsgruppe C‘ war, einen gewaltigen Schritt weiter.
Was ihm noch auffiel: Die Ghettobewohner kümmerten sich nicht um die am Boden Liegenden. Einerseits war es der absoluten Kraftlosigkeit geschuldet, die mit der Apathie des langsamen Verhungerns einherging. Andererseits bemühten sich scheinbar viele, hier ein total normales Leben vorzugaukeln, und man hatte ja selbst Sorgen genug. Dabei sahen sie alle so aus, als würden auch sie bald auf der Straße liegen, um langsam dahinzusterben. Aber nicht in Würde im Kreis der Familie - mit Trost und Segen aller Anwesenden versehen. Nein, verenden, verrecken wie Vieh – in dem Wissen, dass am nächsten Tag ein Karren kommt, dessen Mannschaft den elenden Kadaver aufladen und abfahren wird. Denn wenn man im Haus stürbe, hätte niemand die Kraft, den Toten vor die Tür zu schaffen. Nur die Kleidung der Toten hatte einen echten Marktwert. Die wurde nach dem Ableben oder auch schon vorher ausgezogen und vorsichtig ausgeschüttelt oder abgeklopft. Aber sehr vorsichtig, damit sie nicht zerfielen. ...